"Und Sie warten auf jemanden?" - "Ach, ich warte ab, wer mich so anspricht" - "Und wo wollen Sie hin?" - "Je nachdem, wonach Ihnen ist. Ich folge Ihnen." Wir beide lachen. So ist das also, wenn man sich mit J. am Hauptbahnhof trifft. Ich glaube, er war selbst so nervös, dass er sich schon länger vorher einen guten Spruch für den Anfang überlegthat. Beeindruckenderweise haben wir uns umarmt. Eigentlich würde ich nie Menschen umarmen, noch seltener so früh. Dabei wird mir erst bewusst, wie groß er eigentlich ist.
Wir bewegen uns Richtung dem Cafe/ der Bar für die wir uns mehr oder weniger alternativlos entschieden haben. Während er mir berichtet, dass er keinen Alkohol trinkt, obwohl er selbst Fußball spielt (Kreisliga) und mehrfach wie er beinahe peinlich berührt zugibt in der wohl schlechtesten Disco der Stadt gewesen zu sein (direkt hinter dem Bahnhof, hinter den Alkoholikern, die dort leben) und fragt mich, wann wir denn da landen. Ich schmunzele kurz, worauf er die Chance nutzt und meine Gedanken liest: "Damit hast du bei mir nicht gerechnet, was?" Ins Schwarze getroffen. Er wirkte eigentlich noch introvertierter als ich zur meisten Zeit. Und das soll wirklich was heißen.
Außerdem ist er Fußballfan, sogar Auswärtsfahrer, d.h. er ist ständig unterwegs um seinem Lieblingsverein hinterherzufahren, was viele vermutlich nicht verstehen, ich aber ohne finanzielle Nöte wohl genauso tun würde. Samstag ist er in Hamburg, war diese Saison schon in Karlsruhe. Ich beneide ihn schon etwas.
Wir reden viel über die Uni und besonders: Wir lachen sehr, sehr viel. Und am Anfang ist es vielleicht noch das nervöse Sympathisch-wirken-wollen, aber spätestens nach einer Stunde ist es ernsthaft unterhaltend. Bei der ersten peinlichen Schweigepause, einfach weil man auch mal Luft holen muss, fang ich an Unsinn zu reden und er meint, dass er mit Schweigen zurecht kommt, immerhin tue er das eh meistens. Ich hingegen habe in den letzten Jahren das Problem des Laberns für mich entdeckt und das über alles: So erzähle ich ihm, nach der Nachfrage nach seinen Silvesterplänen, die nicht existent sind, von meinen, die mehr oder weniger bedauerlicherweise in meiner eigenen Wohnung stattfinden. Worauf er meint: "Vielleicht muss ich mich da noch selbst einladen." Ich: "Vielleicht lade ich dich auch einfach zuerst ein."
Der ganze Abend, insgesamt fünf(!) Stunden, sind zugleich verwirrend und gut, aber nichtsdestotrotz hatte ich danach ein unfassbar schlechtes Gefühl. Mag er mich überhaupt? Hat es ihm überhaupt gefallen? Will er mich wiedersehen?
In der Nacht habe ich nichtmal drei Stunden geschlafen. Erst lag ich drei Stunden wach, dann bin ich um 5 Uhr wieder wachgeworden. Mein Gefühl hatte ein mieses Gefühl geboren. Er war zwar anders als ich es mir ausgemalt hatte, aber trotzdem fasziniert er mich zutiefst und er würde mich schon im jetzigen Status verletzen, wenn ich ihm nicht mal annähernd gefallen würde.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich dementsprechend gerädert. Ich mache mich in dem Wissen auf dem Weg zur Uni, dass ich ihn gleich sehe, ob ich will oder nicht. Und ehrlich: ich wollte nicht. Menschen, denen man nichts ablesen kann, Menschen wie ich einer bin, sind nicht gut für das Seelenheil. Ich komme also, wenn auch wegen der Straßenbahn, verspätet, also nur 20 statt 30 Minuten zu früh in den Raum und sehe, dass er bereits da ist. Er dreht sich nicht um und so gerne ich einfach auf meinen Stammplatz setzen würde, also gute 7 Stühle entfernt, frage ich beinahe tonlos, ob mich zu ihm setzen darf. Und der folgende Moment bestätigt meine Hoffnung: ein Misch aus Augenrollen der Selbstverständlichkeit wegen und einem Lächeln, das alles andere als uneinschätzbar ist. Nachdem er noch so tut als würde er lesen und ich meine Jacke ausziehe, beginnt er das Gespräch mit einer Kleinigkeit, die mir längst aus dem Sinn ist. Dann erzähl ich ihm von meinem Bahnwahnsinn der vorangegangenen 30 Minuten. "Und das alles für ein Seminar?", fragt er. "Nicht nur dafür", sage ich in dem Wissen, dass er weiß, dass ich keine anderen Unikurse habe.
Heute ist Freitag und seitdem haben wir jeden Tag geschrieben. Wir lockern beide etwas auf. Ich bin ein Kopfmensch, ich glaube, ihm geht es ähnlich. Und trotz meiner Beschaffenheit ist mein Gefühl stark. Das Gefühl einfach alles auf eine Karte zu setzen. Das Risiko zu gehen. Jedes Risiko zu gehen. Völlig egal, welche Hürden warten.
Ich finde, dass das, was du schreibst, auf jeden Fall darauf schließen lässt, dass ihm das Treffen gefallen hat und dass er dich schon schätzt (den Kommentar "Vielleicht muss ich mich da noch selbst einladen." hätte er sich sonst - meiner Ansicht nach - gespart).
AntwortenLöschenEs scheint mir, das er dich auch mag und das ihm der Abend genauso gut gefallen hat wie dir.
AntwortenLöschenSchon vom lesen denke ich, ihr beide wärt ein gutes Team.
Ich hoffe, ich werde mehr über J. lesen dürfen und das ihr beide noch schöne Erlebnisse zusammen haben werdet. :)
ja, und genau so ein gutes team is doch alles, was man zum (über-)leben braucht. mehr nicht :/
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