Ich vernehme Stimmen, die mir Mut zusprechen. Sehe Augen und Lippen, die mich anlächeln. Und ich bade in ihm, in diesem kurzen Moment. In dem das Blut in mir nicht mehr wie Feuer brennt.

Heute hatte ich zum ersten Mal mein Abiballkleid an. Dadurch, dass ich übertriebe Probleme mit mir selbst habe, wollte ich es nicht sehen. Nicht an mir. Es ist ein wadenlanges, trägerloses schwarzes Kleid, welches hinten Corsagenartig geschnürt wird. Es ist schön - an anderen Menschen. Und heute zwang meine Mutter mich sozusagen es anzuprobieren. Während sie mein Band hinten schnürte, fragte sie: "Ist das fest genug?" Ich schüttele den Kopf. Dieses Spiel spielten wir einige Male bis meine Mutter wusste, dass sie es so eng wie möglich schnüren sollte. "Warum sieht das da so dick aus?", frage ich laut und versuche eine Delle unter der Brust reinzudrücken. "Das sind deine Rippen", sagt meine Mutter leicht vorwurfsvoll. Ich schlucke. "Aber du musst zugeben, dass das Kleid soviel schöner ist als vorher. Als wenn ich dick wäre. So sind die Schnüre hinten total eng und das sieht viel besser aus. Ich möcht ja nicht wie ein Bauer aussehen.", versuche ich mich zu entschuldigen. "Du warst, bist und bleibst immer wunderschön." Ich beiße mir auf die Lippen und gehe meine Schuhe suchen, um nicht antworten zu müssen.

Als ich so vor dem Spiegel stand und mich wirklich ansehen konnte, sah ich keinen Fehler. Leichte Bräune, die meinen Körper durch das Schwarze Kleid nicht gespenstisch aussehen ließ. Eine Taile, die das Kleid erst zu einem Traum werden ließ, eine für die ein Kerl höchstens zwei Hände braucht um sie zu umfassen. Eine Hüfte, die alleine Knochenbedingt nicht die dünnste war, aber dem Kleid eine Form gab. Hohe Schuhe, die mein Bein ins Unendliche strecken. Augen, die durch das Kleid beinahe schwarz aussahen."Endlich siehst du auch das, was alle anderen sehen.", flüstert die Stimme. Ich lächele, atme durch und rufe meine Mutter, dass sie mein Kleid lösen soll, aber nicht zu weit, denn den Rest könne ich ja alleine.

"Ich bekomm das Kleid nachts nicht alleine aus!", lache ich und rufe es quer durch den Flur zu meiner Mutter. "Dann musst du wohl jemanden mit nach Hause bringen", antwortet sie. Ich lache verbittert. "Besser nicht, ich meine, wer will schon sehen, welche schreckliche Gestalt man sich nachts gesucht hat?" - "Ach, Denise, du warst nur mit einem Jungen im Kino, bei Li. auf dem Geburtstag und hast dieses Leuchten im Augen, wenn er schreibt. Du weißt also wer der Junge neben dir sein sollte." Ich lächele sie an. Meine Mutter denkt ich wäre ein guter Mensch. "Als ob die jemand abbekommt. Die kommt nachts zu dir, damit du ihr daraus hilfst", sagt mein Vater zu meiner Mutter und zertritt mich wie eine Ameise.

Von 18 Uhr bis 1 Uhr gerade haben Maxi und ich geschrieben. Endlich wieder. Seit Mittwoch das erste Mal. Solange haben wir schon ewig nichts mehr miteinander zu tun gehabt. 7 Stunden. Jede Sms besteht aus mehr als einem Satz. Jede Sms aus mehr als 6 Worten. Sowohl seine als auch meine. Er erzählt mir von seinem besten Freund, davon, dass er vor langer Zeit weggezogen ist (14 Stunden Entfernung) und sie immernoch täglich Kontakt haben. Er glaubt, dass wenn man sich gut versteht und der andere einem wichtig ist, der Kontakt bestehen kann. "Nur weil wir während des Studiums andere Menschen kennenlernen, heißt es nicht das man die alten vergisst oder gar vergessen muss." Wie ich mir wünsche, dass er mich nie vergisst, nie ganz. Auffällig, dass er mir was privates erzählt. Ich schweige und frage mich, ob das sein größter Schmerz in den letzten Jahren war. Mich sollte nicht sein Schmerz interessieren, sondern wie ich ihn ebenso glücklich machen könnte, wie er es immer wieder bei mir schafft. Alleine durch seine bloßen Worte.