"Was ich im Theater gelernt habe: Ein Schauspieler, der einen Hinkenden darzustellen hat, braucht nicht mit jedem Schritt zu hinken. Es genügt, im rechten Augenblick zu hinken. Je sparsamer, umso glaubhafter. Es kommt aber auf den rechten Augenblick an. Hinkt er nur dann, wenn er sich beobachtet weiß, wirkt er als Heuchler. Hinkt er immerzu, so vergessen wir's, daß er hinkt. Tut er aber manchmal, als hinke er ja gar nicht, und hinkt, sowie er allein ist, glauben wir es. Dies als Lehre. Ein hölzernes Bein, in Wirklichkeit, hinkt unablässig, doch bemerken wir es nicht unablässig, und dies ist es, was die Kunst der Verstellung wiederzugeben hat: die überraschenden Augenblicke, nur sie. Plötzlich daran erinnert, dass dieser Mann ja hinkt, sind wir beschämt, sein Übel vergessen zu haben, und durch Beschämung überzeugt, so dass der Versteller eine ganze Weile lang nicht zu hinken braucht; er mag es sich jetzt bequem machen."
(Max Frisch, Mein Name sei Gantenbein)
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